Gartenstadt Ungemach

Die Cité-Jardin Ungemach in Straßburg

Die Cité-Jardin Ungemach in Straßburg ist eine zwischen 1923 und 1928 errichtete Gartenstadt in der Ortschaft Wacken, die im Norden der Stadt in unmittelbarer Nähe des neu erbauten Europäischen Parlament liegt. Diese malerische Gartenstadt, deren ländliche Stimmung durch ihre Neubau-Nachbarschaft nur noch verstärkt wird, erstreckt sich über 12 Hektar und besitzt 138 gut erhaltene Mieteinfamilienhäuser. Es handelt sich hier nicht um luxuriöses Viertel, dessen Häuser sich in Privatbesitz befinden, sondern um einen sozialen Wohnungsbau. An der Verwirklichung dieses Projekts in der 1920er Jahren waren viele verschiedene Akteuren auf unterschiedlichen Ebenen beteiligt, aber ohne die Finanzierung wäre es überhaupt nicht möglich gewesen. Aber welche Motive sollten Investoren haben, um große Summen in den sozialen Bau zu investieren? Einerseits kann es sich um rein wohltätige Motive handeln, andererseits – ganz verrückt – auch um Investitionen zum Zwecke der Steuerhinterziehung und anderer Geldwäschemethoden.

Léon Ungemach

Léon Ungemach im Jahr 1904
Künstler: Léon Hornecker

So wird der Gründer der Gartenstadt, Léon Ungemach (1844-1928), ein Straßburger Lebensmittelfabrikant, Politiker und Philanthrop, in den französischen Quellen (1, 2) als eine kontroverse Person beschrieben. Es wird behauptet, dass er während des Krieges 1914-1918 im damals deutschen Straßburg auf unrechtmäßige Weise eine große Menge Geld verdient hat. Nachdem war er auf die Idee gekommen, die seine Motive erklären und eine Art Wiedergutmachung sein sollte. Die Idee war, dass er, von Gewissensbissen geplagt, beschließt, das betrügerisch verdiente Geld für ein soziales Werk zu spenden. Diese Geschichte ist der Ursprung der Stiftung Les Jardins Ungemach, die im Januar 1920 in der rechtlichen Form einer Schenkungsurkunde gegründet wurde, bei der Ungemach eilig eine riesige Geldsumme deponierte. Nun sollte eine Gartenstadt entstehen.

Eine Gartenstadt mit natalistischem Charakter. Woher kommt die Idee?

Der (Pro)Natalismus (lateinisch pro „für“ und natalis „geburtlich, Geburt-“) ist eine Haltung, die im Privatleben kinderreiche Familien und auf der politischen Ebene das Wachstum der Bevölkerung befürwortet.

Der geschäftsführende Vizepräsident der Stiftung, Alfred Dachert, erzielt, dass die Stadt die natalistischen Bedingungen der Schenkungsurkunde einhält. »Die Stiftung ist für junge, gesunde Haushalte bestimmt, die Kinder haben und diese in guten hygienischen und moralischen Verhältnissen aufziehen möchten«. Er verpflichtete sich, 150 Einfamilienhäuser im Rahmen einer Gartenstadt zu bauen und, wie üblich, einen Wettbewerb auszuschreiben.

Der Architekturwettbewerb und die Gestaltung des Geländes

Die Stiftung riefen am 10. März 1923 einen offenen Wettbewerb unter allen französischen Architekten aus und veröffentlichten ein Programm mit dem Titel »Wettbewerb für die Schaffung einer Gartenstadt« veröffentlicht. Dieses Programm sah zwei Typen von Einfamilienhäusern, darunter 100 Häuser mit 4 Zimmern und 50 Häuser mit 5 Zimmern. Die Wohnhäuser mussten über fließendes Wasser, Gas und Strom verfügen. Außerdem sollte der Dachboden die Möglichkeit bieten, bei Bedarf ein oder zwei Zimmer einzurichten.

Die Musterhäuser

Was die tatsächliche Bebauung betrifft, so wurden die beiden geplanten Hausvarianten aufgegeben und durch eine bessere Typologie mit sechs Typenhäusern ersetzt. Das ursprüngliche Verhältnis von kleinen Häusern (ein Drittel) und großen Häusern (zwei Drittel) hat sich ebenfalls geändert: Die Anzahl der ersteren wurde auf 30 Einheiten (Typ B) reduziert. Die Entscheidung für eine größere Typenvielfalt ist dem Gebiet eindeutig zugute gekommen.

HaustypABCDEK
Anzahl von Häuser38303414910
Baubeginn192319231924192419251926
Fläche m²140105140140140165
Zimmeranzahl5 und 64 und 55 und 6556
Zimmeranzahl (Dachboden)2 oder 30 oder 12 oder 3222
DachWalmdachKrüppelwalmdachWalmdachWalmdachWalmdachWalmdach
Die Musterhäuser der Gartenstadt Ungemach

Die sechs Typenhäuser – A, B, C, D, E, K – ähneln dem im Programm vorgeschlagenen Typenhaus, bei dem es sich um ein Einfamilienhaus des regionalen und rheinischen Stadttyps mit einem Walmdach handelt. Nur Typ B erinnert an das elsässische Haus mit dem Krüppelwalmdach. Dieser Typ hat die kleinste Wohnfläche.

Die Architekten schufen ein größeres Haus (Typ K), dessen Wohnfläche von den geplanten 126 m² auf 165 m² erhöht wurde. Dieser letzte Typ war wahrscheinlich für kinderreiche Familien gedacht, und es gab nur zehn davon. Bei Abschluss des Vorhabens im Jahr 1929 fehlten zehn Häuser gegenüber dem mit der Stadt vereinbarten Vertrag, was offensichtlich auf die höheren Kosten des Vorhabens zurückzuführen war.

Gestaltung

Bei der Gestaltung ästhetischer Fassaden entschieden sich die Architekten für eine ausgewogene Modularisierung, weil die dem Geschmack der städtischen Mittelschicht entsprachen sollten. Auch die Farbgebung ist dezent und schlicht; die gesamte Bebauung ist farblich aufeinander abgestimmt und vermittelt den Eindruck einer homogenen Siedlung. Die Häuser haben einen traditionellen Charakter und sind im Detail zurückhaltend. Sie verfügen über modulare Elemente, aus denen sich ihre Fassaden zusammensetzen: Fenster, Eingangstüren, Treppen, Lichtschächte. Alle Fassaden zeichnen sich durch eine ständige Suche nach einer Symmetrieachse aus. Die Häuser stellen eine dreiteilige Komposition mit konstanter Höhe dar: 1,20 m hohes Untergeschoss, 2,75 m hohes Erdgeschoss, 5 m hohes Dach mit ausbaubarem Dachboden. Die angenommenen Modulationen und Fassaden haben es aber tatsächlich geschafft, die relative Monotonie der Standardisierung ihrer Komponenten zu mildern.

Innere Aufteilung

Da junge Familien mit Kinderwunsch als Mieter bevorzugt wurden, solange und nur wenn die Ehefrau nicht berufstätig war, spiegelte sich dies auch in den Hausplänen wider. In der Tat war die Gliederung der Räume, egal in welchem Haustyp, so geregelt, dass sie das Leben der Hausfrau erleichterte. Der zentrale Raum, der aus Küche und Esszimmer bestand, grenzte an die Waschküche, damit die Hausfrau gleichzeitig kochen und Wäsche waschen konnte. Der häusliche Komfort ging in die gleiche Richtung: Waschbecken, Schränke, Strom, fließendes Wasser, Öfen in allen Räumen. Übrigens, mussten alle wichtigen Räume im Erdgeschoss bleiben, um die Kinder auch im Garten im Blick zu behalten. In allen Musterhäusern wurden im Dachgeschoss zwei Schlafzimmer gebaut, die später je nach Bedarf eingerichtet werden sollten.

Historische Aufnahmen

Links: Waschbecken im Elternschlafzimmer, 1929

Unten: Küche, 1929

Natalistische Charakter der Gartenstadt Ungemach

Die Stiftung hat in ihrer Vermietungspolitik die Regel beibehalten und in der Praxis angewandt, dass die Miete unter sonst gleichen Bedingungen immer 25 % billiger sein sollte als bei privaten Mietwohnungen in Straßburg. Eine Kombination aus Kriterien wie dem Alter der Ehegatten, dem Datum der Eheschließung, dem Gesundheitszustand der Ehegatten und besonderen Bedingungen für die Ehefrau – vorzugsweise keine Berufstätigkeit, Verbot der Einstellung eines Dienstmädchens – lieferte jedoch eindeutige Hinweise auf die Existenz und den Einfluss natalistischer Kriterien.


Fotos der Umgebung