Graffiti, Tags und Aufkleber in städtischer Umgebung

Eines Tages kam ich auf die Idee, eine Sammlung von 3D-Modellen der städtischen Umgebung zu erstellen. Ich begann, den Plan durchzuarbeiten, und mir wurde klar, dass ich mich nicht nur auf saubere Fassaden, gepflegte Bushaltestellen und glänzende verzinkte Straßenlaternen würde beschränken können. Die reale städtische Umgebung hat ein Eigenleben: Hauswände sind mit Graffiti und Tags bedeckt, Ampeln mit Aufklebern, Bänke sind abgenutzt und schmutzig. Um die Stadt besser zu verstehen und Zusammenhänge zu erkennen, beschloss ich, einen Erkundungsspaziergang durch die Dresdner Neustadt zu unternehmen.

Geschlossene vs. offene Bebauung

Nicht jedes Viertel in Dresden war für meine Recherche geeignet. In Striesen zum Beispiel, wo ich dreieinhalb Jahre lebte, hat jedes Haus einen eigenen Vorgartenbereich, der durch einen Zaun vor Passanten geschützt ist. Es ist eine Gegend mit sehr schöner Architektur, die jedoch in einem quasi Museumszustand erhalten ist und der es an urbanem Flair fehlt.

Geschlossene und offene Bebauung

Das Hechtviertel ist eine ganz andere Sache. Hier herrscht eine überwiegend geschlossene Bebauung vor, bei der eine Hausfront an die andere grenzt. Die Fassaden sind nicht durch einen Zaun vor Passanten geschützt, und es gibt zahlreiche öffentliche Räume.

Straßen sind für die Bewegung von Menschen gedacht; sie dienen allen gleichermaßen. Im Hechtviertel ist die Gebäudewand Teil der Straße, ihrer vertikalen Dimension, wodurch das Gefühl des Hauses als Privatbesitz aufgehoben wird. Die Passanten fühlen sich zugehörig und haben das Gefühl, dass sie das Recht haben, den Raum zu verändern. Es hat keinen Sinn mehr, Graffiti und Tags hier zu entfernen, sie sind ein fester Bestandteil des Stadtbildes.

Kunst oder Vandalismus?

Man könnte argumentieren, dass Graffiti und Tags oft keinen künstlerischen Wert haben, eine gängige Form des Vandalismus sind und das Stadtbild verschandeln. Ich bin auch kein großer Fan dieses Phänomens, aber ich sehe darin nichts Kriminelles. Auch die einfachsten Handzeichen dienen der Kommunikation zwischen Menschen. Insgesamt wirkt das Ganze wie eine lebendige Stadt, in der sich die Menschen nicht scheuen, sich zu äußern und ihre Botschaft deutlich zu machen. Für diejenigen, die diese Ansicht nicht teilen, gibt es jedoch auch konservativere Viertel.

An der Ecke des Hauses, in dem wir jetzt wohnen, befindet sich ein großes und, ehrlich gesagt, hässliches Tag. Wie ist sie dorthin gekommen? Laut Google-Panoramen existierte es bereits 2008. Aber es ist nicht zufällig an dieser Stelle aufgetaucht, sondern weil sich dort früher eine Tür befand, die bei der Restaurierung angebracht wurde (offenbar aus Bequemlichkeit für die Mieter). 

Ist das nicht eher Vandalismus? Das Haus hat viel verloren, eigentlich hätte es an der Ecke einen Eingang zu einem Laden oder einer Bäckerei geben sollen, das wäre eine gute klassische Option gewesen. So befindet sich im Haus gegenüber an der Ecke der Eingang zum Architekturbüro. Aber da gibt es eine Privatwohnung im Erdgeschoss und die nicht verheilte Wunde einer zugenagelten Eingangstür. Aber wie man so schön sagt: Nichts ist jemals leer, und jetzt ernten wir die Früchte in Form dieses ausufernden Tags.

Graffiti

Es gibt eine interessante, sehr mutige Art, mit dem Tagging umzugehen: Wenn etwas nicht verhindert werden kann, muss es geführt werden. Zum Beispiel, Graffiti von einer Graffitikünstlerin oder einem Graffitikünstler auf die Höhe des Erdgeschosses bestellen. Es gibt mehrere solcher Häuser in unserer Nähe, und ich muss feststellen, dass es tatsächlich funktioniert: Tags an solchen Fassaden sind äußerst selten.

Für Graffitikünstlerinnen und Graffitikünstler, die nicht bereit sind, direkt auf Gebäudewände zu sprühen, gibt es Übungsgelände – speziell ausgewiesene Graffiti-Flächen. Hier werden ständig neue Graffiti gesprüht, weil man das legal tun kann.

Ein weiteres gutes Beispiel: die Pflanzenpoller an einer der Kreuzungen. Wie man sieht, haben sogar Kinder an der Gestaltung mitgewirkt. Sie sehen sehr erfreulich aus.

Zusammenfassend habe ich für mich Folgendes beschlossen:

Unabhängig davon, wie wir über den künstlerischen Wert der Straßenkunst denken, müssen wir die Existenz von Graffiti, Aufklebern, allen möglichen Kratzern und anderen „Unvollkommenheiten“ der städtischen Umgebung akzeptieren. All diese Details in einer fotorealistischen 3D-Visualisierung wiederzugeben, ist für mich als 3D-Künstlerin ein Statement, eine Art Manifest.

Tags sind Realität. Die sterile Sauberkeit der Straßen und Fassaden ist eine Fälschung.